Hildegard von Bingen gilt als eine der berühmtesten Frauen des deutschen Mittelalters. Ihre Talente waren vielfältig, von der Theologie bis zur Musik, Medizin, Natur- und Heilkunde. Sie setzte sich als Frau in einer von Männern dominierten Welt durch und wurde von Königen und kirchlichen Persönlichkeiten als Rat- und Trostgeberin aufgesucht und verehrt.
Hildegard und Mönch Volmar. Miniatur aus dem Rupertsberger Codex des Liber Scivias (illuminierte Prachtausgabe).
Die Anfänge ihres Lebens liegen allerdings im Dunkeln. Sehr wahrscheinlich in Niederhosenbach im Hunsrück 1098 geboren, war sie bereits als Kind von Visionen betroffen. Im Alter von 8 Jahren kam sie in den Unterricht zu der sechs Jahre älteren, adeligen Jutta von Sponheim. Jutta war bereits für ihre außergewöhnliche Bildung und Religiosität bekannt. Am 01.11.1112 wurden beide junge Frauen zusammen mit einer dritten „Schwester“ in eine dem Männerkloster angeschlossene, neu gegründete Frauenklause feierlich aufgenommen. Die sechzig Jahre später verfasste „Vita“ von Hildegard beschreibt die Aufnahme wie eine „Bestattungszeremonie“: die Frauen seien in einer kleinen Klause eingeschlossen worden, welche nur mit einem kleinen Fenster mit der Außenwelt verbunden war. Ob es sich wirklich so abgespielt hat, kann nicht mehr bewiesen werden. An welcher Stelle des heutigen Klostergeländes sich die damalige Frauenklause genau befand, ist leider auch unsicher. Am wahrscheinlichsten kommt ein kleiner Anbau an der um 1000 erbauten Stiftskirche der Augustinerchorherren in Frage, wo die Frauen mit räumlicher Trennung zu den Männern an den Gottesdiensten teilnehmen konnten.
Nach ihrer Aufnahme wurde Hildegard in den folgenden vierundzwanzig Jahren des Zusammenlebens von ihrer „Magistra“ Jutta von Sponheim stark beeinflusst. Jutta war gebildet und einflussreich und trotz ihres Lebens als Klausnerin von vielen Menschen der Umgebung verehrt. Ihre Ratschläge waren berühmt und lockten Pilger und Leute unterschiedlichster sozialer Stände an. Das Bild dieser starken Frau, die sich in die Belange des Klosters sowie der Außenwelt einmischte, prägte Hildegard nachhaltig.
Als Jutta 1136 starb, wurde ihre Vertraute und Lieblingsschülerin Hildegard zu ihrer Nachfolgerin und neuen „Magistra“ ernannt. Ende der 30er Jahre erfolgte der Umzug der bereits zu groß gewordenen Frauengemeinschaft in neue Räumlichkeiten. Diese umfassten vermutlich den Wohnturm seitlich der Klosterpforte und eine Kapelle. Vermutet werden weitere daran anschließende Räumlichkeiten, so dass man hier schon von einem Frauenkloster sprechen könnte. Seit 1100 mit Neubau des Benediktinerklosters war der Disibodenberg eine riesige Baustelle. Hildegard spricht von "der Stadt auf dem Berg", da es hier während der Bauzeit laut und voller Menschen war. Vom Fenster der Klause aus konnte sie den Fortgang der Bauarbeiten beobachten.
1141, in ihrem 43. Lebensjahr, hatte Hildegard ihre große Vision, die sie aufforderte, alles, was sie in der visionären Schau vernahm und sah, aufzuschreiben und zu verkünden. Die Visionen erlebte sie, dies betont Hildegard in ihren Schriften immer wieder, „nicht im Traum, nicht im Schlaf und nicht im Rausch“, sondern „in wachem Zustand, bei klarem Verstand“ (aus der „vita Sanctae Hildegardis“). Mit Hilfe des Mönchs Volmar, der zu ihrem Vertrauten wurde, begann Hildegard die Niederschrift ihres ersten Werkes, „Sci vias – Wisse die Wege (des Herrn)“. Zuerst der Mainzer Erzbischof und danach der Papst Eugen III. erkannten die Schriften und die Rolle von Hildegard als Prophetin an. Hildegard fühlte sich bestärkt und konnte ihrem Plan, ein eigenes Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen zu gründen, nachgehen. Trotz des Widerstandes des Abts Kuno von Disibodenberg, der die Berühmtheit des Klosters nicht ziehen lassen wollte, setzte sich Hildegard durch und zog spätestens Anfang 1152 mit ihren Mitschwerstern auf die neue Klosterbaustelle nahe Bingen. In den nachfolgenden Jahrzehnten unternahm Hildegard, die vierzig Jahre ihres Lebens in einer Klause verbrachte, mehrere Predigtreisen und pflegte einen Briefwechsel mit den Persönlichkeiten der damaligen Zeit, wie Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Am 17.9.1179 starb Hildegard im Alter von 81 Jahren im Kloster auf dem Rupertsberg. Sie hinterließ drei theologische Werke, zwei Bücher zur Natur- und Heilkunde, zwei Lebensbeschreibungen zu Rupert und Disibod, einen umfangreichen Briefwechsel, über siebzig Gesänge und ein Singspiel. Diese Werke bezeugen eine geniale Frau, die mitten in der damaligen Welt stand, sich in vielen Disziplinen auskannte und sich nicht scheute, ihr Wissen weiterzugeben.